Schützenvereine im Dritten Reich

  • Das Thema scheint ja ein heißes Eisen zu sein. Diesen Eindruck vermittelt zumindest das Buch von Henning Borggräfe, zu dem ich dieser Tage eine kleine Rezension geschrieben habe:

    Backyard Safari: Schützenvereine im Dritten Reich

    (Um die mit Verve vorgetragenen Anwürfe des Autors in eine bessere Perspektive zu bringen und damit zu relativieren, wird demnächst noch ein Artikel erscheinen, der ähnliche Erscheinungen im europäischen Ausland darstellen wird und dabei über diesen Text noch hinausgeht.)


    Hat jemand von Euch Borggräfes Buch gelesen? Beschäftigt Ihr Euch mit diesem Thema in Euren Vereinen?
    Daß Borggräfe trotz der Mängel seiner Arbeit nicht gänzlich falsch liegen kann, zeigt m.E. die folgende Reaktion aus Dorsten:

    Verein für Orts- und Heimatkunde Dorsten e.V. - Dorstener Schützenwesen in der NS-Zeit

  • Mein Kommentar steht im Backyard Safari Blog.

    Der Kommentar des Dorsteners Vereins versucht genau das, was unsere Verbandsspitzen immer tun: mit Details und Abgrenzungen zu beweisen, dass sie besser waren/sind als die anderen.

    Wenn man die Quelle von dem ausgewiesenen Fachmann Stephen Halbrookdurchliest, kann man erkennen, dass die Nazis ab 1928 systematisch alle Systemkritiker entwaffnet hatten, dann dem Rest die effektiven Kurzwaffen und die Mauser 98 wegnahmen und damit SA, SS und Stahlhelm ausrüsteten. Und erst dann, als alle "guten" Waffen bei den Unterstützern waren, machten sie sich an die Totalentwaffnung der Juden. Dazu erfanden sie die Reichskristallnacht und anschließend interessante, deutschgründliche Gesetze, die ihnen dies "erlaubten".

    Hier stellt sich nun die Frage, welchen Widerstand die Schützenvereine hätten üben können.

    Alle Deutschen, ob nun in einem Verein oder in der Kirche wurden von 1928 bis 1938 zu willigen Unterstützern. Es gab ja keinen Widerstand mehr - denn die Waffen in Schützenhänden waren ineffektiv gegen die Ausrüstung der Nazitruppen.

  • Hallo Katja,

    so recht verstehe ich Deine Einwände leider nicht. In dem Buch geht es weder um den privaten Waffenbesitz noch um (hypothetischen) bewaffneten Widerstand gegen das NS-Regime. Deshalb verfängt Deine Kritik auch nicht. Zumal ich nicht verstehe, was das Jahr 1928 hier zu suchen hat? ?(
    Im übrigen liest sich der Text des von Dir zitierten Autors Stephen Halbrook schon ein wenig anders, als Du es uns darstellst. Er erwähnt z.B. auf S. 512, daß noch Mitte der 30er Jahre Juden im Besitz von Kurzwaffen waren.


    Noch eine Frage an die Kollegen aus NRW: Kennt Ihr das Buch von Borggräfe? Hat der Autor evtl. bei Euch recherchiert?

  • Hallo Zebo,

    ich habe Deinen Artikel so verstanden, dass der Autor den Schützenvereinen vorwirft, sehr willig die Ausgrenzung der Juden vorangetrieben zu haben. Auszug aus Deinem Blog: Der Autor vertritt die These, daß die Schützenvereine im Dritten Reich willige Stützen des NS-Regimes waren.

    Desweiteren schreibst Du: Nach der Machtergreifung der Nazis setzte dann ein Herausdrängen der jüdischen Mitglieder ein. Aufgrund der oben schon genannten Unklarheiten kann Borggräfe jedoch keine gesicherten Angaben darüber machen, in wie vielen Schützenvereinen nun tatsächlich – wie von den Nazis gewünscht – jüdische Mitglieder ausgeschlossen worden sind. Deshalb erscheint seine Behauptung, die Schützen hätten aus eigenem Antrieb antisemitische Ziele verfolgt (S. 30), als tollkühn. ......Auf starke Bedenken stößt auch seine pazifistisch gefärbte These von der „gesellschaftlichen Kriegsvorbereitung als Volkssport“ (S. 81). Dadurch wird jedem Bürger, der Schießsport betrieb, unterstellt, er habe den 2. WK – und zwar so, wie er dann geschehen ist – vorbereiten und herbeiführen wollen. .....Angesichts dessen drängt sich der Schluß auf, daß der gezielte Einzelschuß, den man im Schützenverein lernen konnte, nicht operations- und schon gar nicht kriegsentscheidend war. In den meisten Fällen wird er nicht einmal gefechtsentscheidend gewesen sein.
    Somit erscheint Borggräfes Resümee, die Schützenvereine hätten dazu geführt, daß die deutsche Gesellschaft bis zum Ende kriegsbereit war (S. 93),

    Mein Einwand sollte als eine Unterstützung Deiner Kritik daherkommen. M.E. waren die Schützenvereinen nicht per se willige Unterstützer, sondern wie viele Mitläufer auch eingelullt durch die massive Propaganda, bedroht durch das massive Auftreten der Hitlerorgas in Rudeln und verängstigt, selbst als "Staatsfeind" alle Bürgerrechte zu verlieren. Hitler hat sich ähnlicher Mittel wie Stalin und Ulbricht bedient, um ein Aufkuschen im Volk zu verhindern.

    1. Die Schützenvereine hatten - wie Du schreibst - nicht VOR der Machtergreifung einen "Arierparagraphen" wie manche andere Vereine.
    2. Sämtliche Systemkritiker wurden ab 1933 (sorry nicht bereits 1928 ) systematisch entwaffnet. Vielleicht fand der Autor aus genau diesem Grund keine KPD- oder SPD geneigten Schützenvereine mehr.
    3. Anschließend wurde alle Kurzwaffen und militärischen Langwaffen den "normalen" Bürgern entzogen und an SA, SS und Stahlhelm verteilt.
    4. Erst als die Nazis fast alle Systemkritiker (SPD, KPD) entwaffnet hatten und dem Bürgertum die relevanten Waffen entzogen hatten, machten sie sich 1938 daran, mithilfe der inzenierten Reichskristallnacht die Juden zu entwaffnen.

    Meine Frage bleibt: haben sich die Schützenvereine anders als andere Vereine verhalten?

  • Hallo Katja,

    sorry, ich hatte Dich vorhin wohl falsch verstanden. ;):)


    Meine Frage bleibt: haben sich die Schützenvereine anders als andere Vereine verhalten?

    Das ist in der Tat der entscheidende Punkt. Und meine Antwort lautet: Nein. Dies ist einerseits positiv - die Schützenvereine waren keine NS-Fanatiker -, andererseits auch negativ - es fehlten eben zumeist die Kräfte zum Widerstand. Wie alle guten Deutschen haben sie sich dem jeweils herrschenden Zeitgeist und politischen System angepaßt: gestern Hindenburg, heute Hitler, morgen Ulbricht oder Adenauer, übermorgen die Grünen ... :S

  • Hallo,

    wenn ich recht gelesen habe, wurde die Frage gestellt , Schützenvereine im dritten Reich, oder?

    Jetzt passiert hier genau das Gleiche wie in verschiedenen anderen Themen auch, es wird wieder alles zerpflückt. Ich habe nicht viel Information darüber, weil ich mich auch damit nicht befaßt habe aber eines weiss ich, unter den Naziregim wurden die Vereine verboten und es lief alles über die Partei. Was bitte schön hat das damit zut un ob die Juden oder sonst wer Waffen hatten. Hier wurden doch die Schützenvereine angesprochen und nicht der Besitz von Waffen in privater Hand. Ich weiß von Schützenbrüder die in Vereinen sind die im neunzehnten Jahundert gegründet wurden, dass sich die Vereine an das Verbot gehalten haben, da mit dem damaligen Regim nicht zu spassen war.

    Gruß Kogge

  • Ich vermute man sollte das Buch gelesen haben um Backyard Safaris Anmerkungen zu verstehen. Nach meinem Eindruck gab's damals weder schwarz noch weiß, sondern viele lokale, höchst unterschiedliche und äußerst umfangreiche Auswirkungen auf Brauchtum und Schießsport.

    Gerhard Seemüller

    „Great minds discuss ideas;
    average minds discuss events;
    small minds discuss people.“

  • Anhand von drei Vereinen kann man bei etlichen Tausend allein in Westfalen keine Verallgemeinerungen treffen.

    Die aber heutzutage mit schöner Regelmäßigkeit vertretene Darstellung als eine Art Opfer zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber auch oft als brüchig bis haltlos. Geschichtsklittung wurde nach 45 auf breiter Front betrieben. Da sind die Schützen keine Ausnahme.


    Hier noch eine weitere Literaturangabe:

    Stefan Klemp: Richtige Nazis hat es hier nicht gegeben – Nationalsozialismus in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets, LIT Verlag Münster 1997 ISBN 3-8258-3324-0 Ausschnitte gibt es bei Google.

    Das Buch, auch eine Dissertation, behandelt zwar hauptsächlich einen anderen Aspekt, beschreibt aber auch das Vereinsleben in einer Kleinstadt vor und während des Nationalsozialismus. Er zeichnet ein durchaus differenziertes Bild und zeigt die Verflechtungen des Nationalsozialismus und der Großindustrie. Es liest sich aber wahrscheinlich für einen Ortskundigen etwas leichter.


    Mit bestem Schützengruß

    Frank

  • Ich habe nicht viel Information darüber, weil ich mich auch damit nicht befaßt habe aber eines weiss ich, unter den Naziregim wurden die Vereine verboten und es lief alles über die Partei.

    Das ist so nicht richtig. Einige Schützenvereine, die sich aus welchen Gründen auch immer der Gleichschaltung verweigerten, wurden verboten. Das war aber keineswegs die Mehrheit. Aufgelöst wurden die Vereine erst nach Kriegsende durch das Kontrollratsgesetz Nr. 8 (vgl. hier).


    @ Murmelchen:

    Danke für den Hinweis auf das Buch von Klemp. :)

  • Um die mit Verve vorgetragenen Anwürfe des Autors in eine bessere Perspektive zu bringen und damit zu relativieren, wird demnächst noch ein Artikel erscheinen, der ähnliche Erscheinungen im europäischen Ausland darstellen wird und dabei über diesen Text noch hinausgeht.

    Ich zitiere mich ungern selbst, doch der vor einigen Tagen angesprochene Beitrag ist jetzt fertig:

    Backyard Safari: Polnisches Soldatentum


    Man könnte weitere Einzelstudien betreiben, z.B. hinsichtlich der Sowjetunion, und käme zum selben Ergebnis: Das, was Borggräfe (und einigen anderen Autoren, die in seinem Fahrwasser schwimmen) als typisch deutsch oder gar typisch nationalsozialistisch erscheint, war tatsächlich in den 1920er und 30er Jahren ein gesamteuropäischer Trend (und ist es z.T. bis heute geblieben). Mithin also Zeitgeist im eigentlichen Sinn des Wortes, nicht jedoch "Sonderweg".