Blick über den Zaun: Schießsport in Lettland

  • Ein Blick über den Zaun ist oft hilfreich und bereichernd. Er regt an, zu schauen, wie der Schießsport anderswo betrieben wird, was jenseits der eigenen Grenzen die Probleme, Herausforderungen und Erfolge sind. Manche selbstverständliche - aber kurzsichtige - Annahme relativiert sich da.
    Es ist aber nicht recht möglich, das "passendste" Forum dafür zu finden, da es nirgendwo recht hineinpasst. Eigentlich wäre das Stoff für eine Serie in der DSZ.

    Dass ich mit dem kleinen baltischen Staat Lettland (bestehend aus den alten Einheiten Kurland, Livland, Semgallen und Lettgallen) beginne, hat keinen besonderen Grund. Eine ziemlich gute junge Pistolenschützin hatte mein Interesse erweckt, und so las ich mich etwas ein, unter rege Nutzung von Google Translate (wer kann in Deutschland auch schon Lettisch ? auch wenn's eine indogermanische Sprache ist). Auswärtig bekannt sind ja eher die lettischen Eishockeyspieler.

    Lettland, früher einmal (bis 1919) von einer dünnen deutschen Oberschicht von Adel, Stadtbürgertum und lutherischer Geistlichkeit als russische Ostseeprovinz regiert, ist ein kleinerer baltischer Staat mit sanft abnehmender Bevölkerungszahl; zur Zeit sind es 1,976 Millionen Einwohner, und die Landesgröße ist etwas geringer als der Freistaat Bayern. Seit 1991 ist das Land dezidiert westlich und anti-russisch. Deutschbalten gibt es dort seit 1919, jedenfalls aber seit 1940 keine mehr.

    Der lettische Schießsportverband umfasst sowohl sportliche als auch jagdsportliche Schützen; er hat eine kleine Website, die nicht einmal der ISSF bekannt ist.
    http://saufed.lv/

    1100 Mitglieder sind keine sehr hohe Zahl; doch in der Mehrzahl der europäischen Staaten hat der Schießsport nicht die Breiten- und Tiefengründung, die er bei uns hat, auch und gerade in den sportlich sehr erfolgreichen Staaten nicht (z.B. Italien, Bulgarien, Frankreich).
    Von diesen 1100 Mitgliedern des Verbandes sind aber immerhin nicht weniger als 387 Jugendliche; das ist m.W. sogar eine höhere Verhältniszahl als in Italien. Mit der enormen Überalterung der Vereine in Deutschland kontrastiert das natürlich stark.

    Der Verband zählt 49 Untervereinigungen (Vereine, Schießsportgruppen in Betrieben und Sicherheitsinstitutionen, oder öffentliche Einrichtungen wie Sporträte und Schulen). Da haben natürlich etliche deutsche Schützenkreise bzw. Schützengaue schon mehr. Die Vereinigungen umfassen nur aktive oder zumindest interessierte SportlerInnen und sind deshalb i.d.R. klein; eine mittlere zweistellige Zahl bringen mit einer Ausnahme unter den Vereinen (Riga) nur die Sportschulen, von denen das Land mit einem dichten Netz überzogen ist:
    http://www.sportaskolas.lv/index.php?option=com_content&view=article&id=120
    In immerhin acht von ihnen wird Schießsport betrieben:
    http://www.sportaskolas.lv/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=5&Itemid=122

    Die NachwuchsschützInnen schießen auf starkem europäischen bis unterem Weltniveau, und reisen relativ viel. Zuletzt waren sie natürlich auch in Suhl. Der vielleicht erfolgreichste lettische Sportler (und einer der erfolgreichsten Olympioniken überhaupt) ist der Pistolenschütze Afanasijs Kuzmins, Olympiateilnehmer sage und schreibe von 1976 bis 2012 -- mal sehen,ob er auch in Rio 2016 dabei sein wird.
    http://www.issf-sports.org/athletes/athle…HLATM2203194701
    In der öffentlichen Wahrnehmung Lettlands und den dortigen Medien spielt der Schießsport aber keine Rolle, wie die Netz-Abstimmungen über die beliebtesten SportlerInnen zeugen:
    https://lv.wikipedia.org/wiki/Kategorij…lva_sport%C4%81

    Und wer generell etwas mehr über Lettland lesen will, aus der Innenansicht, findet hier einen nicht uninteressant gemischten, deutschsprachigen Blog:
    http://lettland.blogspot.de
    und hier eine Presseschau:
    http://www.lettische-presseschau.de

    Carcano

    3 Mal editiert, zuletzt von Carcano (16. November 2015 um 12:27)

  • Von diesen 1100 Mitgliedern des Verbandes sind aber immerhin nicht weniger als 387 Jugendliche; das ist m.W. sogar eine höhere Verhältniszahl als in Italien. Mit der enormen Überalterung der Vereine in Deutschland kontrastiert das natürlich stark.

    Wenn man schon in frühem Alter kräftig aussortiert, dann bleiben natürlich im Erwachsenensport nur noch wenige übrig.

    Mir scheint dass hier wirklich nur leistungsorientierte (vergleichbar der Kaderangehörigen hier) Sportler dem Verband angehören, eine Situation die bei uns nicht denkbar ist.

  • Nein, genau umgekehrt. Da wird nicht "aussortiert", sondern einsortiert. In vielen Ländern ist es so, dass es zwar viel weniger Schützen insgesamt gibt, der Jugendanteil jedoch höher ist und massiv gefördert und geformt wird. Man kann zwar keine Olympiamedaillen auf Zuruf produzieren, aber man sehr wohl und sehr verlässlich MQS und Quotenplätze "nach Bedaf" herstellen. Das zeigen ja die Statistiken sehr anschaulich.
    Gute Beispiele snd z.B. Japan (mit einem sehr eingeschränkten privaten Waffenbesitz, Leistungsschwerpunt bei Erwchsenen), Thailand, Iran (Nachwuchs von Weltklasse). Aber auch Italien ! Ich stelle das jetzt auch nicht als Ideal oder vorbildich dar, es ist nur eine Herangehensweise. Umgekehrt sind dafür viele der erwachsenen Verbandsmitglieder eher Hobby-Schützen.

    Nun speziell zu Lettland: die Sportschulen fassen stützpunktweise verschiedene Sportarten zusammen und bezahlen Sportstätten. Trainer, auch einige Lehrer, Ich weiß nicht, ob se auch einen Internats- und Wohnheimzweig haben. Die fnanzielle Bezuschussung jugendlicher Leistungssportler von 16-23 Jahren aus dem dafür geschaffenen „Jaunatnes sporta fonds” ist verhältnismäßig gering; zur Zeit sind im Schießsport drei Junioren (2 m, 1 w) in der landesweiten Förderung. Das sind so dreistellige Beträge zwischen jeweils 400 und 800 €, anlassbezogene Zuschüsse zu Wettkampfteilnahmen (Reisen), Lehrgängen/Trainingslagern und Sportgerätebeschaffung. (10.5. Der Fonds leistet eine Teilfinanzierung bis zu 75 % des Gesamtbetrags der Kosten, aber nicht mehr als 800 EUR für Sport-Camps oder Sportgeräte bis 600 EUR, bzw. 600 EUR Zuschuss zu Wettbewerben innerhalb eines Jahres, jeweils pro Kategorie. Die Quote werden auf die Fachsportverbände aufgeteilt.)

    3 Mal editiert, zuletzt von Carcano (21. November 2015 um 11:38)

  • Nein, genau umgekehrt. Da wird nicht "aussortiert", sondern einsortiert

    Und warum gibt es dann unter den Erwachsenen nur noch so wenige Schützen? So jung dass sich dieser hohe Anteil mit der Altersstruktur erklären lässt ist die Bevölkerung dort auch nicht.

    Nachdem ich die Entwicklung eines Skifahrers bis zum verletzungsbedingten Ausscheiden aus dem Kader verfolgen konnte, frage ich mich noch mehr ob ich eine Karriere im Leistungssport für eine schwach bezahlte Sportart wie schießen für meine "Schützlinge" anstreben soll.

  • Sehr interessantes Thema. Ich finde es immer interresant wie unser Sport in anderen Ländern organisiert und betrieben wird.
    Freue mich schon auf weitere Beiträge zum Schießsport in anderen Ländern. :)

    Großes Lob für die bestimmt aufwändige Recherche!

    Gruß
    TobiC

  • Hallo Carcano,

    vielen Dank, eine sehr interessante Zusammenfassung.

    Meine Frau ist Lettin, wir sind dann auch das eine odere andere Mal in diesem schönen und sehr spanndenden Land. Du sprachst die Bevölkerungsabnahme/Geburtenrate an; dazu kommt die Brisanz der aktuellen wie zukünftigen Entwicklung (des unter sowjetischer Hegenomie gesteuerten Zuzugs) der großen Gruppe der Nationalrussen, welche z.T. noch nicht einmal lettisch sprechen (wollen) sowie der Weggang von jungen Potentialträgern ins benachbarte westliche Ausland.
    Bei einem durchschnittlichem Einkommen von 600 - 800,-€ im Monat und -abgesehen von der Grundversorgung- hiesigen Preisen für Qualitätsartikel ist das verfügbare Kleingeld für einen Sport leider nicht immer vorhanden.
    Warum jedoch so wenig Letten schießsportlich in Vereinen organisiert sind, kann ich mir nicht erklären, da muss ich heute Abend zu Hause mal bezgl. einer Idee nachfragen. Der Jadgsport bzw. die Jagd ist dort zumindest zugänglicher und verbreiteter als bei uns, dazu kommt eine oftmals grandiose Kulisse.

    Solltest Du mal mit google translate nicht weiterkommen, schick mir eine Nachricht!

    Viele Grüße und eine schöne Adventszeit!

    Thognes

  • ...Warum jedoch so wenig Letten schießsportlich in Vereinen organisiert sind, kann ich mir nicht erklären, da muss ich heute Abend zu Hause mal bezgl. einer Idee nachfragen. Der Jadgsport bzw. die Jagd ist dort zumindest zugänglicher und verbreiteter als bei uns, dazu kommt eine oftmals grandiose Kulisse.

    ...

    Das ist ein häufiges Phänomen.

    Ich beziehe mich jetzt mal auf den Bogensport, weil ich mich dort noch am besten auskenne.
    Nehmen wir mal zB. die USA. Dort ist die Bogenjagd eine riesige Industrie, das können wir uns garnicht vorstellen. Die USA ist aber was den Bogensport angeht nicht so breit aufgestellt, wie man denken könnte (obwohl es gerade im Compoundbereich den ein oder anderen sehr guten Sportler gibt). Dominierend sind auch hier die Asiaten und Europäer. Der Grund ist, dass dort das Targetshooting als reines Jagdtraining angesehen wird. Genauso wird es beim Kugelschießen sein.

  • Ein Blick über den Zaun ist oft hilfreich und bereichernd. Er regt an, zu schauen, wie der Schießsport anderswo betrieben wird, was jenseits der eigenen Grenzen die Probleme, Herausforderungen und Erfolge sind. Manche selbstverständliche - aber kurzsichtige - Annahme relativiert sich da.

    Nun nach der Wahl in USA und dem angekündigten Rückzug des Schutzschildes, könnte ich mir auch eine Veränderung, bei unserer Situation vorstellen.

  • Nun nach der Wahl in USA und dem angekündigten Rückzug des Schutzschildes, könnte ich mir auch eine Veränderung, bei unserer Situation vorstellen.

    Darüber kannst Du in anderen Foren mit Waffenbezug sicher offener Diskutieren.
    Spätestens bei der "Wiedereinführung" der Wehrpflicht wird sich aber die Freude an der Veränderung etwas dämpfen.

    Karl

  • Darüber kannst Du in anderen Foren mit Waffenbezug sicher offener Diskutieren.Spätestens bei der "Wiedereinführung" der Wehrpflicht wird sich aber die Freude an der Veränderung etwas dämpfen.

    Karl

    Hast du ein Problem mit dem Bund, dann geh doch einfach nicht hin!