In einem anderen Thread ereiferte sich einer unserer Kollegen über die negativen Folgen der Anoymität im Internet:
Ich verweise auf die aktuelle Netiquette. Von Erwachsenen (und solchen, die es von sich behaupten) erwarte ich eben nicht nur mit Hintergrundwissen fundierte Beiträge, sondern auch dass sie sich an solche allgemingültigen Regeln halten. Das gehört für mich auch zum Umgang mit anderen dazu. Der Einwand ist nicht albern, sondern berechtigt. Erst letzte Woche wurde auch in den Medien wieder darüber gesprochen, dass die Anonymisierung, die das Internet bietet große Gefahren in sich birgt, weil sie Personen nicht mit ihren Aussagen konfrontiert werden können, weil sich alles in einem freien Raum abspielt.
Das kritisiere ich auch an Michael Kuhn´s Waffenblog, der ohne Anmeldung funktioniert. Nur wenn ich auch später (als reele Person) mit meinen Aussagen konfrontiert werden kann, verhalte ich mich wie im echten Leben. Ich empfinde dieses Verstecken hinter Pseudonymen als feig.
Ich möchte den ursprünglichen Strang nicht zumüllen, deshalb habe ich diesen eröffnet.
Michael, ich kann das so nicht stehen lassen. Wenn Du überall unter Deinem Realnamen postest und das gut findest oder zumindest mit evtl. negativen Konsequenzen für Deine Person leben kannst, dann ist das zwar anerkennenswert, aber Deine Sache. Im Internet hat sich die Verwendung von Pseudonymen nicht nur aus technischen Gründen eingebürgert. Denn auch in Demokratien gibt es eine lange Tradition der pseudonymen politischen Publizistik (das berühmteste Beispiel sind gewiß die Federalist Papers). Damals ging es vor allem darum, die von den Autoren vorgetragenen Argumente nicht durch abwegige persönliche Diskussionen zu stören. Und "ad hominem" geht oft leichter als sachliche Einwände zu formulieren.
Welchen Sinn anonyme bzw. pseudonyme Äußerungen heute haben können, hat das Oberste Gericht der USA in seiner Entscheidung McIntyre v. Ohio Elections Commission dargelegt:
"Under our Constitution, anonymous pamphleteering is not a pernicious, fraudulent practice, but an honorable tradition of advocacy and of dissent. Anonymity is a shield from the tyranny of the majority. [...] It thus exemplifies the purpose behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular individuals from retaliation--and their ideas from suppression--at the hand of an intolerant society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general, our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse."
Daher finde ich es unredlich, anderen "Feigheit" zu unterstellen, nur weil sie nicht bereit sind, sich Schikanen für ihre von der Mehrheit abweichende Meinung auszusetzen. Das hat nichts mit gesunkener Hemmschwelle oder dergl. zu tun, sondern ist eine nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme. Das Internet ist weltweit verfügbar und vergißt praktisch nichts. Somit weiß man nie, wie 10 oder 20 Jahre zurückliegende Äußerungen einmal gegen einen verwendet werden ... Das ist etwas anderes als der Dorfklatsch vor 50 Jahren.
Mithin wäre etwas mehr Verständnis angezeigt. Wer nicht bereit ist, sich im Netz (und damit vor der ganzen Welt) völlig bloßzustellen, muß deswegen kein schlechtes Gewissen haben.